Metropolenschreiber 2022 im Ruhrgebiet: jetzt war der Historiker und Autor Per Leo auf Einladung von Proust zu Gast im LeseRaum in der Akazienallee und stellte sein Buch „Tränen ohne Trauer“ vor.

„Nach der Erinnerungskultur“, lautet der Untertitel des Buchs, der abzielt auf eine ganze Reihe von Gründen des Unbehagens des Autors mit unserem heutigen Umgang mit der NS-Vergangenheit, den er im Kern nur noch als Geste deutscher Selbstgefälligkeit wahrnimmt. Er schreibt: „Dass es in Deutschland irgendwann leichter wurde, über die Verbrechen des 3. Reichs zu sprechen, war ein Fortschritt, nachdem man sich sehr lange sehr schwer damit getan hatte“; und er fährt fort: „Musste vor 40 Jahren die schuldbelastete Vergangenheit aus ihrem Panzer gebrochen werden, liegt das Problem nun eher in ihrer schamlosen Zudringlichkeit.“ Was damit im Einzelnen gemeint ist, erläuterte Per Leo im Gespräch mit Marcel Siepmann, der kundig und kritisch durch den Abend führte. Per Leo las auch Passagen aus seinem Roman „Flut und Boden“, in dem er sich als Historiker der eigenen Familie nähert: der Lebensgeschichten seines Großvaters Friedrich und dessen älteren Bruders Martin, ersterer ein glühender Karriere-Nazi, letzterer ein körperlich versehrter Intellektueller und Künstler. So wurde an diesem Abend deutlich, wie sehr Leos Bücher auch seine „persönliche Fieberkurve pandemischen Leidens an der Geschichte“ nachzeichnen. 

Herzlichen Dank, Per Leo und Marcel Siepmann, für diesen gelungenen, informativen Abend, der wie der Zufall es will, auch am passenden Ort seinen schönen Ausklang fand.

PS. Sein zwischen zwei Buchdeckel gepresstes Resumée über seinen Aufenthalt im Ruhrgebiet als Metropolenschreiber 2022, wird Per Leo nach Erscheinen im nächsten Jahr ebenfalls bei uns vorstellen – wir sind sehr gespannt und freuen uns darauf!

Per Leo
Tränen ohne Trauer
Nach der Erinnerungskultur
Klett-Cotta Verlag
Juli 2021, 269 Seiten, € 20,00

 

 

 

 

Zum Thema Erinnerungskultur dürfen wir Sie auf zwei weitere Veranstaltungen von Proust hinweisen:

 

Dienstag, 27. 9. 2022:
LESART:
Fremd. Zwei Geschichten von Gewalt, Verharmlosung und Verdrängung

Auf dem Podium:
Der Publizist und Moderator Michel Friedman mit seinem Buch „Fremd“ (Berlin Verlag 2022) und der Historiker Uffa Jensen mit seinem Buch „Ein antisemitischer Doppelmord. Die vergessene Geschichte des Rechtsterrorismus in der Bundesrepublik“ (Suhrkamp 2022)

 

 

 

Dienstag, 8. 11. 2022:
Tom Segev/Jerusalem: „Jerusalem Ecke Berlin“. Erinnerungen
Ein außergewöhnliches Leben zwischen Israel und Deutschland